April 2007
Laudatio von Professor Franz Rindfleisch:
Meine Damen und Herren gestatten Sie mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen zur Kunst. Von dem vor 50 Jahren verstorbenen Sprach- und Kunstphilosophen Ludwig Wittgenstein stammt der (im Rahmen einer Vernissage vielleicht etwas irritierender) Satz:
„In der Kunst ist es schwer, etwas zu sagen, was so gut ist wie nichts zu sagen.“
Nun, vielleicht kann uns gerade dieser Satz helfen, ein tieferes Verständnis für die hier gezeigten Exponate zu gewinnen.
Wenn man für „sagen“ das Wort „denken“ einsetzen würde, ließe sich das Zitat positiv darstellen: Über Kunst nachdenken, heißt nämlich nicht, ein Kunstobjekt zu interpretieren, sondern die eigenen Empfindungen und Erfahrungen, die man bei der Begegnung mit dem Kunstwerk gewinnt, sich selbst bewusst zu machen.
Damit kommt das subjektive Bewusstsein des Betrachters ins Spiel.
Es geht also, anders formuliert – um den Versuch einer anderen Art von Denken, nämlich eines „Denkens in Bildern“: Der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung ist dann nicht mehr das „vordergründige“ Motiv, also das auf dem Bild Dargestellte, sondern gewissermaßen das „Eigenleben“ des Werkes selbst (Lothar Fischer).
Cezanne ließ beispielsweise in seinen Gemälden immer wieder die unbearbeitete Leinwand in Form von weißen Flecken durchscheinen, um dem Betrachter bewusst zu machen, dass es sich in seiner Kunst nicht um eine möglichst täuschenden Wiedergabe des Motivs handle, sondern um einen offenen Prozess des spielerischen Umgangs mit der Farbe.
Bevor wir diese Gedanken noch etwas weiter verfolgen wollen, halte ich es für angebracht, an dieser Stelle die Persönlichkeit unseres Künstlers mit in diese theoretischen Überlegungen einzubeziehen.
Herr Philipp Klein studierte Architektur an der TU München – wirkte als Stadtbaumeister in Cham – und ist jetzt als freier Architekt in Bad Kötzting tätig. Der Entschluss, in Eichstätt auszustellen, beruht auf seiner ganz persönlichen Bindung an Eichstätt, wo bereits sein Großvater als Landwirtschaftsdirektor tätig war. Durch den Einfluss des Vaters fühlte er sich schon früh zur Malerei hingezogen, was die vielen erfolgreichen Ausstellungen in den vergangen drei Jahrzehnten bestätigen.
Damit sind wir aber wieder bei der Kunst angelangt. Eine interessante Frage könnte jetzt sein: Hat bei den ausgestellten Exponaten der „Architekt“ eine gewisse Rolle gespielt?
Oder grundsätzlich: Gibt es Unterschiede in der Denkweise zwischen Architekt und Maler?
Zunächst lässt sich feststellen: Beiden gemeinsam ist der Umgang mit den ästhetischen Mitteln wie Raum, Farbe, Licht, Bewegung, Material, Struktur usw.
Während der Architekt jedoch die reale Welt um sich herum künstlerisch konzipiert, projiziert der Künstler eine bereits in ihm existierende imaginäre Bilderwelt nach außen. Beide Prozesse werden von denselben psychischen Energien inszeniert: Fantasie und Kreativität.
Beide entspringen derselben Logik des bildnerischen Denkens. Die Reaktionen, die sich beim Betrachter auslösen, werden herkömmlicherweise unter dem Begriff des Schönen subsumiert.
Was aber versteht der (zeitgenössische) Künstler unter dem Begriff „schön“? Er tut sich mit dem klassischen Schönheitsbegriff schwer. Er neigt eher dazu, ihn gegen andere Kriterien wie Neuheit, Überraschung, Ausstrahlung, Offenheit oder anderes auszutauschen. Die damit gemeinten ästhetischen Qualitäten bieten sich jedoch nicht auf den ersten Blick dem Betrachter an. Er muss sie erst vor Ort entdecken.
Das Gleiche trifft jedoch auf den Künstler selbst zu. Man könnte auch anders herum argumentieren: Nicht der Betrachter stellt die Fragen an das Kunstwerk, sonder das künstlerische Objekt provoziert umgekehrt Reaktionen bzw. Fragen seitens des Betrachters.
Zum Schluss einige Ratschläge für Museumsbesucher und um noch einmal den Philosophen zu zitieren: Gespräche über Kunst gleichen „Sprachspielen“ (Wittgenstein). Sie bewegen sich auf der Ebene von Umschreibungen, um sich behutsam dem künstlerischen Gegenüber verbal zu nähern. Sie leben zwangsläufig von der Unschärfe ihrer Definitionen. In dieser Situation bedarf es beim Betrachter der Fähigkeit des kreativen „Umdenkens“, ja, des „Vergessens“ von überkommenen Vorurteilen.
Ganz konkret gesprochen: Wo lassen sich an der Bildstruktur, an derem formalen Sprachrhytmus, der Gestalt, noch die vertrauten Bildmotive wiedererkennen? Zum Beispiel, wenn das menschliche Gesicht im Bild zur abstrakten „Landschaft“, die Figur zum bloßen „Farbkörper“ mutiert, wenn der dreidimensionale Raum zur farbigen Fläche gerinnt, wenn Farbe nich mehr illusionistische „Erscheinung“, sondern nur noch malerischen Prozess bedeutet?
Umgekehrt sucht der Betrachter häufig vergeblich nach einem Etwas, das „dahinter“ ist, das nach einer abstrakten „Idee“, nach einem kollektiven Bewusstsein, das Künstler und Betrachter auf einer neuen Denkebene wieder zusammenführt. Kunst verstehen heißt dann, sich auf das Risiko einer Interpretation einzulassen, mit Ungereimtheiten leben, eine neue Erfahrung von Freiheit zu machen.
Meine Damen und Herren, den Rest meiner Einführung möchte ich gerne ihrer eigenen kreativen Beschäftigung mit den konkreten Exponaten von Herrn Klein überlassen.